„Teller, Teller, du musst wandern …“

Eine große Aufgabe steht ihm nun bevor. Zögerlich greift er zum Schlüsselbund, der an seinem Gürtel hängt. „Bereiten Sie mal alles vor!“, hatte der Pfarrer gesagt. „Ok“, hatte er gedacht, nicht ahnend, dass es ihm solch eine große Schwierigkeit bereiten würde. Nun also steht er oben im Amtszimmer. Vor ihm der alte Tresor. Ein Schlüssel mit viele Zacken passt. Er dreht um und öffnet. Dahinter: Glanz. Dahinter: Ehrfurcht. Dahinter: Geheimnis. Mut braucht er. Der Pfarrer hats ja gesagt. Zögerlich nimmt er auch den Abendmahlsteller von einem der Kelche. Seine Finger ergreifen den Rand. Dann hält er ihn in seinem Händen. Das erste Mal. Vor zwei Tagen hat er hier angefangen. Schritt für Schritt kommt er in die Arbeit hinein. „Dieser Teller“, so denkt er. „Geht nachher durch jede Hand.“ Er dreht ihn in seinen Händen. Vielleicht eine Inschrift?

„Teller, Teller, du musst wandern. Von dem einen zu dem andern.“

Doch anders als in dem Reim, bekommen wir alle den Teller in die Hand. Wir reichen ihn uns weiter, ohne dass wir befürchten müssten, das Spiel zu verlieren. Nein, denn wer ihn bekommt, hat gewonnen. Unsere leeren Hände füllen sich. Geschenkt von einem, der genug hat. Für alle. Einer gibt. Wir dürfen nehmen. Du auch! Ich auch! Sehnsucht wird gestillt. In dem Moment, in dem die Augen des Nachbarn nur mich sehen. Seine Hände mir Brot reichen.

So ist es geschafft. Mit schnellen Handgriffen wischt er mit einem weißen guten Tuch den Teller ab. Die übrigen Oblaten vorher in die Dose gelegt. Er weiß inzwischen wie es geht. Weiß, dass es geht, im Geheimnis zu sein. Fremdes ist nicht mehr fremd, doch immer noch geheimnisvoll. Durch jede Hand ist er gegangen, der Teller, er dreht ihn noch einmal. Lässt seinen Glanz im Licht spiegeln. Dann legt er ihn zurück auf seinen Kelch im Tresor und schließt die Tür.