Predigt vom 18.1.2015: Die Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11)

„Mein Glas ist halbleer.“

Mit traurigen Blick beantwortet Hartmut die Frage des Journalisten, warum er hier mitlaufen würde. „Nicht mehr lang und das Glas wird ausgetrunken sein. Nicht mehr lang und wir werden kein Glas mehr haben. So viel haben wir getan für dieses Land und Geld, Mühe und Arbeitskraft gegeben. Ich will, dass in meinem Glas wenigstens noch ein wenig drin bleibt. Der Politik kann man ja nicht mehr vertrauen, dass sie da etwas nachschüttet.“

Viele Menschen haben in dieser Zeit genau diese Angst. Ein halbleeres Glas, das immer leerer wird. Voll sieht das Leben ganz anders aus, würden einige sagen. Da geht es um Sicherheit, um Vertrauen und Zukunft. Sehr nachvollziehbare Gründe.

Richtig ist auch, dass Menschen ihrem Unmut Luft machen, auf die Straße gehen, zeigen, was sie denken.

Wahr ist auch, dass so mancher in der Politik es versäumt hat, ehrlich und transparent zu sein.

Wahr ist auch, dass wir sehr wenig wissen über Vorgänge im Hintergrund. Da ist es verständlich, wenn Menschen wissen wollen, wie es in ihrem Land eigentlich zugeht, was der Treibstoff ist und was die eigentlichen Ziele in unserer Gesellschaft sind. Sicherheit, Vertrauen und Zukunft?

Menschen sind in diesen Tagen unterwegs, weil sie genau darum fürchten, genau davor Angst haben. Was wird mit meinen Kindern werden in der Zukunft? Wird es weitere Attentate oder sogar Krieg geben?

Als ich einer Kollegin erzählte, dass ich heute darüber sprechen werde, hat sie mit dem Kopf geschüttelt: „Als Vertreterin der Kirche kannst du dich nicht politisch positionieren. Das ist zu gefährlich. Du würdest ja gar nicht die Gesamtheit aller Zuhörer im Blick haben. Dir könnten Gemeindeglieder abhandenkommen, wenn du genau sagen würdest, was sie tun sollen.“

Wir diskutierten darüber, welche Aufgabe Kirche in diesen Tagen hat. Inwiefern sie Stellung nehmen sollte zu Pegida und Paris. Das Für und Wider der freien Meinungsäußerung einer Pfarrerin. Am Ende des Gesprächs waren wir uns einig, dass wir keinen Zeigefinger erheben wollen und auch nicht sagen würden, was die einzelnen Gemeindeglieder zu tun hätten. Aber die Diskussion blieb.

Das Glas ist voll.

Voll gefüllte, dickbauchige Wasserkrüge. Ein Fest im vollen Gange. Viele Gäste. Viele Teller und Platten mit wohlriechenden Speisen. Desserts und Früchte. Musik und Tanz. Je länger wir hinsehen, desto mehr Einzelheiten können wir entdecken hier in Kana:

Da sind zum einen die Jünger, Männer und Frauen, die mit Jesus in Galiläa umherziehen. Einige sitzen zusammen an einem Tisch. Andere von ihnen tanzen ausgelassen mit den Gästen. Auf jeden Fall träumen sie von einer neuen Zeit, glauben an den Gott der Liebe, von dem Jesus predigt.

Deshalb sind sie dabei und folgen ihm nach. Oft wundern sie sich auch über Jesu fordernde Reden. Nicht alles, was er sagt, verstehen sie. Manchmal zweifeln sie. Bei der Hochzeit sehen sie staunend das Wunder und glauben.

Weiter entdecken wir die Mutter von Jesus: Maria. Mit diesem Sohn hat sie einiges erlebt. Eine wundersame Geburtsgeschichte, Verfolgung in seiner frühen Kindheit, Überraschungen, etwa als er als Junge schon mit den Tempelgelehrten sprach. Und nun weist Jesus sie sehr, sehr schroff zurück: „Was haben wir miteinander zu tun, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“

Sie nimmt die Worte schweigend hin, wie manches, was Jesus betrifft. Zu den Dienern sagt sie: Was er euch sagt, das tut. Auch später am Kreuz wird sie stehen. Sie bleibt Jesus treu. Sie vertraut Gott, auch wenn sie noch nicht versteht.

Wir entdecken einen Küchenchef, erst bestürzt, dann überrascht: »Wieso gibt es plötzlich so viel des guten Weins?«

Und natürlich entdecken wir den Bräutigam. Obwohl der gar nicht zu Wort kommt. Was mag er gedacht haben? „Ein Glück, das ist noch mal gut gegangen!“ Oder: „Wie kann das sein? Woher kommt der ganze Wein?“ Oder: „Davon werde ich später einmal meinen Kindern erzählen!“

Im Hintergrund sehen wir die Dienerschaft: Wortlos befolgt sie Marias Rat und Jesu Anweisung. Sie tun, was er sagt, obwohl er weder Hausherr noch Küchenchef ist.

Und schließlich, überall verstreut: Die Hochzeitsgesellschaft. Ebenso wie die Braut kommt sie nicht zu Wort. Vielleicht tanzen sie oder singen.
Sind sie zu beschäftigt oder zu höflich, um sich den fehlenden Wein anmerken zu lassen?

Und mitten in allem dem ist auch Jesus zu entdecken: Er spricht mit seiner Mutter und dann geht er in den Bereich der Bediensteten. Er gibt ihnen Anweisungen und letztlich uns allen damit ein Zeichen auf Gottes Herrlichkeit.

Viele kleine Szenen, ein großes Bild. Ich finde, es ist ein wenig so wie bei jeder Hochzeitsfeier: Vieles passiert gleichzeitig, doch nur alles zusammen ist die ganze Wirklichkeit der Feier.

Vieles passiert gleichzeitig auf den Straßen. Auch Maria wird von einem Journalisten gefragt, warum sie mitlaufe. Mit traurigem Blick antwortet sie ihm: „Eigentlich weiß ich nichts genaues, aber ich bin traurig. Mein Vater läuft auf der anderen Seite bei Pegida. Und es zerreißt mir fast das Herz. Ich bin bestürzt und traurig über unsere Stadt. Ich glaube, ich laufe mit, weil ich es nicht ertragen kann, dass es Rädelsführer gibt, die eine eindeutige Vergangenheit haben. Ich möchte weinen, wie Ideen von Menschen ausgenutzt werden, die vielleicht noch etwas ganz anderes vorhaben. Und ich frage mich auch immer wieder, was nun der Titel ‚Patriotistische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes‘ mit einem besseren Asyrecht und Integration zu tun hat. Das passt etwas für mich nicht zusammen.“

Liebe Gemeinde, nun predige ich tatsächlich über dieses Thema und das zu einem Bibeltext, der von der Fülle des Lebens mit Jesus und Gott spricht. Volle Wasserkrüge, gefüllt bis obenan mit Wein, dem Zeichen der Freude und der Lust. Immer wieder möchte ich rufen: „Mein Glas ist mit Gott nicht nur halbvoll, sondern übervoll!“

Ein bisschen schwer fällt es mir aber doch. Denn ich kann sie verstehen, die Angst, gewohnte Dinge hinter sich lassen zu müssen, mit der Veränderung der Welt und Europas leben zu müssen. Denn das scheint ja wohl klar: Zuwanderer und Flüchtlinge sind und werden kommen und bleiben. Warum auch nicht?

Unsere Aufgabe als Mitglieder dieser Gesellschaft besteht darin, für ein gerechtes Asyrecht und die Chance zur Integration zu kämpfen, damit wir eben Attentaten und Krieg aus dem Weg gehen können.        Unser Grundbedürfnis ist schließlich Frieden. Aber ein wirkliches  Bild davon hat sich mir noch nicht gezeigt. Die Massen auf den Straßen zu heterogen, zu unterschiedlich die Menschen und zu unterschiedlich ihre Motive.

Und der Islam? Ich sträube mich gegen die Generalisierung einiger Demonstranten und auch einige Journalisten, die von dem „bösen gewalttätigen Islam“ sprechen. Es ist mir einfach zu wider, Menschen anderen Glaubens partout als gewalttätig abzustempeln.

Da hinein trifft uns heute Jesus, der mit seinem Weinwunder etwas von Gottes Herrlichkeit zeigt. Volle, dickbauchige Weinkrüge, die vor Leben und Freude strotzen, bringen der Hochzeitsgesellschaft das, was sie braucht. Neues Leben für erkaltete Beziehungen. Der Wein steht für die neue Verbindung untereinander und mit Gott.

Menschen kommen zusammen, auf einem großen Fest, haben nur eins im Sinn: das Leben genießen, das Gott ihnen schenkt.

Gott schenkt mir voll ein. Seine Herrlichkeit kommt mir zugute. Für mich wird Wasser zu Wein verwandelt. Für mich und für dich stirbt Jesus am Kreuz, damit wir erkennen, dass Gott sich uns schenkt.

Ich darf staunen, ob des Wunders und mich freuen!

Krüge vollgefüllt mit der Zuversicht, dass Frieden und Liebe ein guter Treibstoff für eine Gesellschaft sein können. Krüge vollgefüllt mit Toleranz, die jeden Menschen auch unabhängig von Herkunft und Religion würdigen kann.

Was wir brauchen immer wieder: ehrliche Diskussionen über die Religionen und mit den Religionen. Über und mit der Politik. „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zum Lobe Gottes“, so die schon bekannte Jahreslosung.

Das ist es auch, für das ich hier stehen möchte. Mein Glas ist ganz voll!

Amen