„Eine ganze Flasche Öl“ – Predigt zu Mk 14,3-9 an Palmarum

Liebe Gemeinde,

Wer ist eigentlich Jesus? Aussehen, Charakter, Beruf, Werdegang?

Die Jünger haben uns gegenüber einen entscheidenden Vorteil. Sie wissen, wer Jesus ist. Tage, Wochen, sogar Jahre sind sie mit ihm unterwegs, Tag und Nacht, 24 Stunden könnte man vermuten. Die Bibel suggeriert es jedenfalls. Wir kennen ihn dagegen nicht. Wir wissen nicht wie er aussieht. Die Jünger schon. Wir wissen nicht, wie er lächelt oder wie viele Falten er im Gesicht hat. Wie er aussieht, wenn er grimmig die Stirn kraust. Mimik und Gestik von Jesus sind ihnen wohl vertraut. Sie wissen von seinem Lieblingsessen. Sie wissen, ob er mal krank war oder ob er nachts gut schläft oder oder oder …

Die Jünger wissen es. Sie erleben Jesus bei seinen Anfängen als Wanderprediger. Gehen mit ihm bis zu den Toren Jerusalems und in das ganze Geschehen vor seinem Tod. Die Jünger haben sich eine Meinung gebildet. Und sie können mit Fug und Recht behaupten, dass sie es am besten wissen müssten, wer Jesus ist. Schließlich erleben sie ihn bei seinen Reden, Gleichnissen und Streitgesprächen, bei den Menschen, wenn er Wunder tut und heilt. Sie gehen mit ihm in die Häuser der Menschen. Wissen wie er mit ihnen umgeht. Dass oft etwas Anderes passiert oder er etwas Anderes sagt, als man denken mag. Von den Menschen, denen sie begegnen wissen auch viele, wer er ist oder viel mehr wer er sein soll. Elia, Mose, der Messias? Manchmal spürt man in den Erzählungen, dass sie es doch nicht immer so ganz genau wissen. Auch sie weiß nicht genau, wer er ist. Auch sie hat nur eine Ahnung. Doch sie grübelt nicht. Sie beginnt kein Streitgespräch. Es steht ihr auch gar nicht zu. Sie fragt nichts. Sie sagt nichts. Sie wartet nicht ab. Sie tut einfach.

Lesung Mk 14,3-9

Kostbares Nardenöl wird zum Stein des Anstoßes. Eine Frau, wie sie sinnlicher nicht handeln könnte, in einem Satz das ganze Geschehen. Es fasziniert mich. Gold, braun, gelb und rot, dazu schwarzes Haar und der aschfarbene Boden. Ich tauche ein in die Geschichte. 

Eine kleine unscheinbare Flasche aus Ton mit einem Korkstopfen verschlossen. Noch liegt sie in einer grob zusammengezimmerten Truhe zwischen Gewändern und Laken. Eine Frau in schlichten Gewand, aber aus guten hellem Stoff gewebt, kommt in die Kammer und geht zur Truhe. Mit ihren schlanken Händen öffnet sie das Schloss und hebt den Deckel. Ich weiß nicht wie sie heißt. Ihr Gesicht ist braungebrannt von der Sonne. Ihr Haar noch zu einem Zopf geflochten. Ihre dunklen Augen leuchten. Langsam sucht sie nach der kleinen Flasche. Vorsichtig holt sie sie aus der Truhe. Vielleicht war es einst ein Geschenk gewesen. Nardenöl. Ein Parfümöl. Vielleicht von einem Geliebten, den sie nie hatte begehren dürfen? Geschenkt von einem, der ihr Leben verlassen hat. Vielleicht stehen ihr die Tränen in den Augen, wenn sie daran zurückdenkt. Das Nardenöl als letzte Erinnerung. Wenn Trauer und Tod, Ungerechtigkeit und Unterdrückung im Leben sogar den Schmerz nimmt. Vorsichtig dreht sie das Alabasterflächen in den Händen. Heute will sie es ausgießen, vergießen für ein neues Leben. Für neue Hoffnung. Für einen, der alles wenden kann. Für den, der da kommen soll und von dem allen sprechen. Für den, den mehr ist als Elia und Mose. Für den, der in die Herzen sieht. Mit liebevollem Blick. All eure Dinge lasst in der Liebe geschehen. Und Liebe? Liebe ist nicht kleinlich. Liebe ist nicht sparsam.

Liebe rechnet nicht. Rechnet nicht, was habe ich und was hat der. Rechnet nicht auf, wann bin ich dran in der Warteschlange nach Erfolg, Geld und Anerkennung. Liebe teilt sich aus, verschwenderisch. Sie öffnet das Fläschchen und riecht. Der Duft von Liebe, Erinnerung und Geborgenheit strömt ihr entgegen. Noch einmal hält sie ihre Nase dicht über der Hoffnung. Der Duft von Hoffnung fließt in sie hinein. Dann schließt sie es wieder. So geht sie mit dem Fläschchen die Treppen herunter, durch den Innenhof hindurch bis hin zu dem Raum im Hause des Simon, in dem ER ist. Sie ist mutig, mögen die Jünger gedacht haben. Aber sie weiß nicht, wen sie da vor sich hat. Sie ist unpassend, mögen die Jünger gedacht haben, denn Jesus der Träger aller Hoffnung mit Weisheit und Verbindung zu Gott sitzt vor ihr. Es interessiert sie nicht, warum die Frau das Tut, was sie dann tut. Sie salbst ihn wie einen König und hat doch gar nicht das Recht dazu! Doch die Jünger irren nicht. Hier geht es nicht ums Sparen. Hier geht es nicht darum, etwas zurückzuhalten oder für sich zu behalten. Und sie erkennen, dass sie schon wieder nicht wissen, wer Jesus eigentlich ist. Auch wir wissen immer nur bruchstückhaft, wer Jesus eigentlich ist und wen wir da Woche für Woche hören und verkündigen. Er ist immer noch mehr als wir denken. Wir können von ihm erzählen, ja. Wir können uns mit Christus theologisch auseinandersetzen und überlegen, wie was zu denken ist. Aber ja immer nur in dem Bewusstsein, dass Gott in Jesus Christus immer noch mehr ist, als wir uns vorstellen können. Selbst der Kreuzestod als Tat der Liebe und Gnade bleibt uns immer unverständlich. Heute kommen wir Jesus ein Stück näher durch die Frau mit dem Nardenöl. Auch die Jünger lernen erneut eine Seite von Jesus. Er widerspricht, das war ja klar. Er führt damit den Jünger fast vor, der vorschlug, das Geld stattdessen den Armen zugeben. Jesus spürt, dass die Frau intuitiv weiß, was sie tut und es genau richtig ist. Der Jünger weiß nicht, was sich für die Frau mit dem Salböl der Hoffnung aus ihrer Truhe verbindet. Jesus nimmt es zum Anlass unmissverständlich zu sagen, dass es eine Zeit geben wird, in der er nicht mehr da sein wird. Für die Jünger unvorstellbar. Für uns Realität. Wir wissen nicht, wie Jesus aussah und wie lächelte oder wie sein Gang war. Wir wissen aber, was er uns bedeutet über den Tod hinaus: Liebe und Leben. Kreuz und Auferstehung.

„Wenn du keinem hilfst, wird dir auch nicht weh getan!“, hörte ich neulich auf der Straße eine Frau zur anderen sagen. Ich war entsetzt und schaute ein wenig irritiert. Die Frauen bemerkten mich nicht, als ich an ihnen vorbeiging. Aber der Satz hallte in mir nach. Genau das ist es doch eben nicht: Wenn du keinem hilfst, wird dir auch nicht wehgetan. Jesus will uns heute sagen: Seid mutig und verschwendet euch. Verschwendet eure Liebe. Spendet eure Liebe!

Wer ist Jesus? Eben auch das ist er: Verschwendung. Die Frau verschwendet das Nardenöl an Jesus. Salbt ihn, der schon König ist. Wer weiß, vielleicht ist im der Duft des Öls noch ein klein wenig im Kopf, als er die Toren Jerusalems auf dem Eselfüllen erreicht. Wenn er die jubelnden Menschen sehen wird, ihre lauten Rufe, ihre Gesänge, ihr Flehen um Gerechtigkeit, ihre Schreie nach Frieden. Auf dem Weg in den Schmerz, in Geißelung und Verspottung. In den Tod. Wer weiß, vielleicht streift ihn noch einmal der Duft des Nardenöls in seinem Haar. Noch einmal spürt er ihre Liebe. Verschwenderische Liebe.

Amen